Das Projekt Radeln mit Herz läuft seit Oktober 2020 für insgesamt fünf Jahre. Dabei werden sieben E-Rikschas des AWO Landesverbandes Sachsen-Anhalt e. V. in verschiedenen AWO-Pflegeeinrichtungen in ganz Sachsen-Anhalt verteilt. So können sich die Bewohner*innen von ehrenamtlichen Rikscha-Pilot*innen an der frischen Luft durch die Gegend fahren lassen und so altbekannte oder neue Orte bestaunen. Die außergewöhnlichen Fahrzeuge gehen nach Hötensleben, Wittenberg, Kemberg, Hohenmölsen, Quedlinburg, Blankenburg und Barby.
„Mir fehlt es so, an der frischen Luft zu sein!“ – ein Bedürfnis vieler älterer Bewohner*innen in Seniorenheimen. Viele sind körperlich nicht mehr dazu in der Lage, sich auf ein Rad zu schwingen, oder einen Spaziergang zu machen. Manch geliebte Orte werden so unerreichbar. Zudem kommen teils nur sporadische Besuche von Freunden oder Familie, die einen Ausflug organisieren und für Ablenkung sorgen. Die Folgen sind nicht selten ein Rückzug auf das Zimmer, Resignation, das Gefühl nicht mehr richtig am öffentlichen Leben teilzunehmen und Veränderungen im Umfeld zu versäumen.
Viele AWO Einrichtungen versuchen bereits seit mehreren Jahrzehnten mit Unterstützung von bürgerschaftlich engagierten Menschen dieser Entwicklung entgegenzutreten. Etwa im Rahmen von ehrenamtlichen Leserunden oder Besuchs- und Begleitdiensten. Im Vergleich zu Freiwilligen über 55 Jahren ist das Engagement von jüngeren Menschen in Einrichtungen für Senioren leider oftmals geringer. Das schränkt nicht nur die Möglichkeit Ausflüge zu unternehmen stark ein, sondern verstärkt den Eindruck, dass eine Senioreneinrichtung ein Ort ist, in dem sich eher ältere Menschen engagieren und treffen. Ein generationenübergreifender Wissens- und Erfahrungsaustausch ist dadurch stark gehemmt.
Der Wunsch vieler jüngerer Menschen, dies zu ändern und sich zu engagieren, ist da. Es fehlt jedoch häufig an attraktiven Angeboten für Engagierte. Das Projekt „Radeln mit Herz – Zu zweit auf drei Rädern“ schafft hier als neues Engagementangebot in den teilnehmenden AWO Senioreneinrichtungen Barby, Höhenmölsen, Eisleben, Blankenburg, Kemberg und Wittenberg, sowie innerhalb der AWO Initiative in Hötensleben, Abhilfe. Es soll dazu beitragen das Ehrenamtsangebot der Einrichtung weiterzuentwickeln, den Komfort der Bewohner*innen zu erhöhen, neue Zielgruppen für eine Tätigkeit in Pflegeeinrichtungen anzusprechen, die Einrichtung stärker ins Quartier zu öffnen und neue Formen der Mobilität im Sinne der Verbesserung des CO2-Fußabdrucks zu etablieren.
Die Einrichtung erhält die Gelegenheit sich mit einem mobilen Besuchs- und Begleitdienst stärker ins Quartier zu öffnen. Aktivität, frische Luft, sowie die Belebung neuer wie alter sozialer Kontakte, als auch Austausch untereinander und Menschen aus der Nachbarschaft stehen dabei im Vordergrund. Die Passagiere (Bewohner*innen) erleben während ihrer Tour auch neue Eindrücke, können mit dem Piloten (dem Engagierten) sprechen und dieser kann im Umkehrschluss das Gespräch suchen und von der Lebenserfahrung der Passagier*in profitieren. Somit findet eine kognitive und körperliche Aktivierung der Senior*innen statt.
Welche Einrichtungen machen bisher mit?
Radeln mit Herz ist ein von der AWO Ehrenamtsakademie entwickeltes Projekt, das vom Netzwerk Stadt-Land und dem Europäischen Landwirtschaftsfond für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) gefördert wird. Folgende Einrichtungen machen bisher mit:
- AWO Seniorenwohnpark „An der Stadtmauer“ in Barby (AWO Kreisverband Salzland e.V.)
- AWO Seniorenresidenz „Marie Juchacz“ in Kemberg (AWO Kreisverband Wittenberg e.V.)
- AWO Altenpflegeheim Hohenmölsen (AWO Kreisverband Burgenlandkreis e.V.)
- AWO Alten- und Pflegezentrum „Am Kleers“ in Quedlinburg (AWO Kreisverband Harz e.V.)
- AWO Seniorenzentrum „Haus am Thiepark“ in Blankenburg (AWO Regionalverband am Harz e.V.)
- AWO AG MeGa – Mauern einreißen, Grenzen abbauen in Hötensleben (AWO Kreisverband Salzland e.V.)
- AWO Tagespflege Wittenberg (AWO Kreisverband Wittenberg e.V.)
Ein Bericht aus erster Hand: „Der erste Passagier“
Endlich sind wir angekommen! Die ersten 5,5 km Kolonnenfahrt liegen hinter uns und endlich kann es losgehen. Die Passagiere sind schon da und warten auf den Einstieg. Alle werden gut eingepackt. Es regnet zwar nicht mehr, aber frisch ist es trotzdem. Während sich zwei Personen in manchen Rikschas aneinander kuscheln, sitzt in meiner ein älterer Herr. Er ist einer von insgesamt sechs Bewohner*innen, war gleich als erster platziert worden und darf nun auch an der Spitze fahren. Sein Name ist Helmut, 88 Jahre und Magdeburger Urgestein. Wir fahren durch die Innenstadt und machen Station an historischen Orten, die meisten davon mit AWO-Bezug. Helmut ist begeistert und er erzählt, als wir am Ratswaage-Hotel vorbei fahren „Dahinten habe ich gewohnt!“. Ich frage nach wo genau – „Na aufm Breiten Weg!“. Helmut hört immer interessiert zu, wenn ich ihm etwas zu Orten erzähle oder ihn auf Besonderheiten, wie das Riesenrad im Stadtpark, aufmerksam mache. „Hier hat sich aber viel verändert!“. Ich frage ihn, wie lange er schon im Haus Krähenstieg lebt. „Seit fünf Monaten, aber die letzten Jahre hatte ich meine Wohnung nicht mehr verlassen.“ Es stimmt mich ein wenig nachdenklich. Gedacht war die Fahrt für Bewohner*innen, die schon seit Jahren die Einrichtung nicht mehr verlassen haben. Das bestimmte Vorgeschichten auch die eigene Häuslichkeit zu einem Heim werden lassen können, zeigt mir Helmut deutlich: Isolation (schon vor Corona, aber dadurch noch verstärkt), fehlende Mobilität und starke gesundheitliche Einschränkungen. Helmut freut sich über Bewegung, im Schnitt mit 12 km/h, eine vielfältige Umgebung, den für ihn lange zurückliegenden städtischen Alltag im Magdeburger Zentrum, die Elbe – wie lange hatte er diese schon nicht mehr gesehen? Die Natur am Biosphärenreservat Mittlere Elbe, das alte Industriegebiet (heute der Klosterbergegarten) und die schicken Neubauten in Elbnähe. „Da wohnt der ehemalige Oberbürgermeister Willy Polte drin!“ klärt er mich auf. Als wir in der Thiemstraße ankommen sind und die Rundfahrt beendet ist, ist Helmut ein wenig enttäuscht. Er wäre gern noch bis zur Einrichtung zurückgefahren. Er strahlt über das ganze Gesicht und bedankt sich für den schönen Ausflug. Die vielen Erinnerungen und Eindrücke werden ihm hoffentlich noch lange erhalten bleiben.“
Radeln mit Herz – Zu zweit auf drei Rädern wird gefördert durch:
Teilen auf